Keynote 1: Bildungswegeinscheidungen und Identitätsbildung im MINT-Bereich

Bildungswegentscheidungen und Identitätsbildung im MINT-Bereich
PräsentationDen inhaltlichen Part der Veranstaltung mit der ersten Keynote eröffnete Professor Ziegler von der Universität Erlangen-Nürnberg. In seinem Vortrag, der auf empirischen Erkenntnissen basierte, thematisierte er die komplexen Prozesse der Bildungswegentscheidungen und Identitätsbildung im MINT-Bereich. Dabei zeigte er, dass solche Entschlüsse nicht nur durch äußere Einflussfaktoren wie Familie, Schule, Medien oder Peers bestimmt werden, sondern auch durch mentale Prozesse – etwa unbewusste Denk- und Wahrnehmungsmuster –, die das Entscheidungsverhalten maßgeblich mitprägen.
Professor Ziegler erläuterte zentrale Effekte wie Priming – die unbewusste Aktivierung bestimmter Denkmuster durch Reize in der Umgebung. So können beispielsweise bestimmte visuelle Reize Erwartungen hervorrufen (z. B. „Technik ist männlich“) und dadurch das Verhalten beeinflussen. Studien zeigen zudem, dass Frauen in "weiblich gestalteten" Räumen – etwa durch Farben oder Mobiliar – nachweislich bessere Leistungen erbringen, da sie sich stärker zugehörig und wohler fühlen.
Ein weiterer Fokus lag auf der sogenannten Stereotypenbedrohung: Die Angst, ein negatives Vorurteil über die eigene soziale Gruppe zu bestätigen (z. B. „Mädchen sind schlecht in Mathe“), kann die Leistung tatsächlich beeinträchtigen – nicht wegen mangelnder Fähigkeiten, sondern durch inneren Druck. Professor Ziegler verdeutlichte, wie sich solche Effekte langfristig in „chronisch verfügbaren Selbstbildern“ niederschlagen können – also in tief verankerten, unbewussten Überzeugungen über sich selbst, die dauerhaft Entscheidungen und Verhalten prägen. So sei bei vielen Mädchen etwa das Gefühl, für MINT „nicht geeignet“ zu sein, dauerhaft präsent.
Als Gegenstrategien stellte Professor Ziegler eine Reihe wirkungsvoller Maßnahmen vor, darunter positive Rückmeldungen im Unterricht, gezielte Beziehungsangebote sowie die Förderung eines Growth Mindsets bei Lehrkräften. Schon eine einfache positive Reaktion, wie „Das ist eine großartige Frage!“, könne spürbar das Selbstwirksamkeitserleben und Zugehörigkeitsgefühl von Schüler*innen stärken – gerade im MINT-Bereich. Besonders wirksam ist sachorientiertes Lob, das sich konkret auf die erbrachte Leistung bezieht, da es die intrinsische Motivation stärkt. Es wird von Schüler*innen deutlich besser aufgenommen als personenbezogenes Lob. Wohingegen negative Aussagen über das Fach oder den Unterricht durch die Lehrkraft – etwa „Ich weiß, dass ihr das Thema nicht mögt“ oder „Mathe liegt nicht jedem“ – das Gegenteil bewirken und Zweifel an der eigenen Fähigkeit sowie an der Passung zum Fachbereich verstärken können.
Besonders wirkungsvoll seien positive Rückmeldungen, wenn sie von Lehrkräften kommen, die als freundlich und unterstützend wahrgenommen werden. Denn die soziale Qualität der Beziehung beeinflusst, wie stark eine Rückmeldung wirkt: Gleiche Worte entfalten eine größere motivierende Wirkung, wenn sie von einer emotional zugewandten statt von einer distanziert wirkenden Lehrperson stammen. Professor Ziegler betonte, dass Motivation und Identifikation entscheidend seien und dass MINT-Förderung auf mehreren Ebenen ansetzen müsse – situativ, strukturell und individuell. Ein zentrales Element sei dabei das sogenannte Growth Mindset: die Überzeugung, dass Fähigkeiten und Intelligenz nicht festgelegt sind, sondern sich durch Anstrengung, Lernbereitschaft und Unterstützung weiterentwickeln lassen.