
Die Präsentation zur Fokusrunde wird in Kürze hier veröffentlicht.
In seinem Beitrag zur Fokusrunde 1 gab Guido Lohnherr von MINT-Campus/MINTvernetzt/zdi praxisorientierte Einblicke in zentrale Erfolgsfaktoren der Zielgruppenansprache und -erreichung im MINT-Bereich.
Herausforderungen etablierter Kommunikationsansätze
Zum Beginn der Fokusrunde wurde thematisiert, dass bestimmte Botschaften in der MINT-Kommunikation zwar weit verbreitet sind, bei der Zielgruppe jedoch häufig nicht die gewünschte Wirkung erzielen. Zwei typische Beispiele veranschaulichen dieses Spannungsfeld:
- Zum einen wird häufig auf die rückläufigen Anfängerzahlen in MINT-Studiengängen hingewiesen. Die daraus abgeleiteten Botschaften lauten etwa: „Deshalb müssen wir als Gesellschaft handeln“, „Gerade deshalb bietet MINT sehr gute Karrierechancen“ oder „In diesem Bereich kann man besonders spannende und wichtige Themen bearbeiten“. Diese Aussagen verfolgen einen sachlichen oder gesellschaftspolitischen Ansatz, bleiben jedoch für viele junge Menschen abstrakt oder wenig ansprechend.
- Zum anderen wird auf das Gender-Gap in den MINT-Fächern hingewiesen – mit typischen Aussagen wie: „Wir müssen Mädchen und junge Frauen besonders fördern“ oder „Wir müssen die Rahmenbedingungen besser gestalten“. Auch hier liegt der Fokus auf strukturellen Herausforderungen und allgemeinen Appellen, die in der Kommunikation mit der Zielgruppe jedoch oft wenig wirksam sind. Solche Aussagen wirken aus Sicht junger Menschen häufig abstrakt und erzeugen kaum persönliche Identifikation.
Guido Lohnherr machte in seinem Input deutlich, dass solche Botschaften häufig aus einer institutionellen oder politischen Perspektive heraus formuliert sind. Zwar spiegelten sie reale Herausforderungen wider, doch reichten sie seiner Einschätzung nach oft nicht aus, um junge Menschen wirklich zu erreichen oder für MINT-Themen zu begeistern. Grundlage seiner Einschätzung bildeten die Auswertung von rund 1.200 nationalen und internationalen Studien sowie seine langjährige operative Erfahrung in der Umsetzung von Bildungsprojekten. Im Anschluss stellte er zentrale Erkenntnisse darüber vor, welche Faktoren tatsächlich Einfluss auf Studienentscheidungen haben – und wie diese gezielt in der MINT-Kommunikation berücksichtigt werden können.
Einflussfaktoren auf Studienentscheidungen und deren kommunikative Relevanz
Guido Lohnherr hob hervor, dass die Entscheidung für ein MINT-Studium in hohem Maße durch inhaltliches Interesse bestimmt wird. Laut der erwähnten Analyse liegt dieser Einflussfaktor mit Zustimmungswerten zwischen 65 % und 85 % deutlich vor anderen Aspekten. Anerkennung, das gesellschaftliche Image sowie Erwartungshaltungen wirken ebenfalls motivationsfördernd, allerdings in geringerem Ausmaß (45 – 60 %). Deutlich weniger Einfluss haben hingegen Karriere- und Verdienstaspekte sowie Gestaltungschancen oder schulische Leistungen (jeweils 15 – 25 %). Auch konkrete Einblicke ins Studium und die eigene Selbst- und Fremdeinschätzung – etwa durch Beratung oder Selbsttests – spielen eine Rolle, wenn auch begleitend. Aus diesen Daten leitete Guido Lohnherr ab, dass eine wirksame MINT-Kommunikation inhaltliche Begeisterung fördern und greifbare Einblicke in Studieninhalte ermöglichen sollte, um die intrinsische Motivation junger Menschen gezielt zu stärken.
Neben den inhaltlichen Faktoren betonte er auch die Bedeutung des sozialen Umfelds für die Studienwahl. Besonders Familie und Freundeskreis wirken stark motivierend (65 – 85 % Zustimmung). Online-Informationsangebote, insbesondere gut strukturierte Plattformen oder Selbsttests, haben ebenfalls eine hohe Wirksamkeit (45 – 60 %) – deutlich höher als klassische Social-Media-Kanäle, deren Einfluss vergleichsweise gering ist. Beratungsangebote, außerschulische Maßnahmen wie Praktika sowie der Einfluss von Schule und Lehrkräften liegen im Bereich von 15 – 35 %. Diese vielfältigen Einflussfaktoren machen deutlich, dass Orientierungshilfen dann besonders wirksam sind, wenn sie an die Lebenswelt junger Menschen anknüpfen und ihnen persönliche Relevanz vermitteln.
Eine besondere Rolle spielen dabei Role-Models, insbesondere für Mädchen. Guido Lohnherr betonte, dass wirksame Rollenvorbilder weder einen Prominentenstatus noch ein spezifisches Geschlecht haben müssen. Vielmehr zeichnen sie sich durch ein hohes Identifikationspotenzial aus, kommen idealerweise aus dem nahen sozialen Umfeld oder der Peer-Group, sind glaubwürdig und authentisch. Solche Personen können auf Augenhöhe Orientierung geben und berufliche Perspektiven greifbar machen. Programme, die solche Elemente langfristig integrieren, stärken die Entscheidungskompetenz und das Vertrauen junger Menschen in ihren Bildungsweg.
Eine zentrale Erkenntnis war dabei, dass die Vermittlung von MINT-Inhalten nicht losgelöst von den Personen und Kontexten gedacht werden kann, durch die sie erfolgen. Besonders das direkte soziale Umfeld – Familie, Freundeskreis, Peer-Group – prägt Studienentscheidungen maßgeblich. Studieninteresse wird dabei nicht nur durch Informationen geweckt, sondern auch durch emotionale Unterstützung, geteilte Interessen und glaubwürdige Orientierung auf Augenhöhe.
Kontextualisierung und langfristige Begleitung als kommunikative Prinzipien
Ein zentrales Element erfolgreicher Gewinnung von Studieninteressierten ist die Kontextualisierung – also das Einbetten von Studieninhalten in lebensnahe, nachvollziehbare Zusammenhänge. Guido Lohnherr betonte, dass junge Menschen sich besonders dann angesprochen fühlen, wenn sie den praktischen Nutzen und die gesellschaftliche Relevanz eines Themas erkennen können. Praxisbeispiele, berufsbezogene Anwendungen, persönliche Geschichten oder gesellschaftliche Herausforderungen wie Nachhaltigkeit oder Digitalisierung schaffen Anknüpfungspunkte und steigern die Identifikation. Kontextualisierung erhöht nicht nur das Interesse, sondern fördert auch das Verständnis und die langfristige Bindung an das Thema – insbesondere bei Zielgruppen, die sich zunächst wenig mit MINT-Studiengängen identifizieren. Dabei sprechen große, regionale Transformationsthemen – etwa im Bereich Nachhaltigkeit, Mobilität oder Digitalisierung – junge Menschen stark an, da sie konkrete Bezüge zur Lebensrealität vor Ort schaffen. Solche Themen sollten sich daher konsequent in der Darstellung und Ausgestaltung von Studieninhalten widerspiegeln.
Ein weiterer wichtiger Punkt war die langfristige Begleitung interessierter und talentierter junger Menschen. Programme, die kontinuierlich ansprechbar bleiben – beispielsweise durch Mentoring oder Buddy-Systeme – wirken nachhaltiger als breit gestreute, einmalige Maßnahmen. Kurzfristige Maßnahmen erzeugen oft nur begrenzte Wirkung; stattdessen braucht es aufeinander aufbauende Formate, die Orientierung und Entwicklung über mehrere Jahre hinweg ermöglichen. Programme wie Mentoring, praxisnahe Workshops oder projektbasiertes Lernen leisten hierbei einen wichtigen Beitrag zur langfristigen Bindung und Förderung technikinteressierter junger Menschen. Guido Lohnherr betonte in diesem Zusammenhang: „Viel hilft nicht unbedingt viel“ – entscheidend sei vielmehr eine gezielte Auswahl und kluge Abstimmung der Angebote. Auch hier gilt: Kontinuität entlang der Bildungskette und insbesondere an sensiblen Übergängen (z.B. Schulwechsel und Stufenwechsel) ist entscheidend.
Auch wurde betont, dass Erkenntnisse aus der internationalen Forschung, insbesondere zu forschendem Lernen und kontextorientierter Vermittlung, stärker für MINT-Studienangebote nutzbar gemacht werden sollten. Dabei gilt: Was junge Frauen besonders anspricht – z. B. Praxisnähe, Selbstwirksamkeit und Identifikation – wirkt oft auch für andere Zielgruppen attraktiv.
Ein besonderer Fokus lag auf der Rolle von Online-Informationen bei der Studienorientierung. Guido Lohnherr machte deutlich, dass inhaltlich und dramaturgisch gut gestaltete Info-Plattformen, Landingpages und Selbsttests eine zentrale Rolle bei der Entscheidungsfindung junger Menschen spielen – insbesondere dann, wenn sie von Hochschulen oder unabhängigen Informationsanbietern betrieben werden. Diese Angebote sind deutlich wirksamer als klassische Social-Media-Kanäle. Soziale Medien wirken – wenn überhaupt – vor allem im Rahmen von Peer-to-Peer-Kommunikation, etwa über Erfahrungsberichte auf YouTube. Zwei oder drei Studierenden-Testimonials würden jedoch nicht ausreichen, um Studieninteressierte zu erreichen. Stattdessen sollten Informationen zum Studienverlauf in kleine, verständliche Module segmentiert und transparent dargestellt werden – denn genau solche Informationen seien für Interessierte besonders relevant.
Strategische Ausrichtung und strukturelle Rahmenbedingungen
Zum Abschluss gab Guido Lohnherr einen systematischen Überblick über zentrale Strategien, um MINT-Angebote wirksam an junge Zielgruppen zu vermitteln. Grundlage ist die klare strategische Ausrichtung: Projekte sollten ihre Zielgruppen genau bestimmen (z. B. nach Fristigkeit), kommunikative Schwerpunkte setzen und entsprechende Angebote wie Mentoring, Selbstlernmodule oder schulische Kooperationen gezielt aufbauen oder einbinden.
Ein zentrales Anliegen ist dabei die „Übersetzungsleistung“ zwischen den Inhalten der MINT-Angebote und Lebensrealität der Jugendlichen: Dazu gehören Maßnahmen wie Kontextualisierung, passgenaue Inhalte, Identifikationsangebote (z. B. Open Badges, Testimonials) und die gezielte Ansprache auch über digitale Tools. Wichtig ist zudem, strukturelle Barrieren aktiv zu identifizieren und abzubauen, um MINT-Bildung für alle zugänglich zu machen – insbesondere auch für Mädchen und junge Frauen mit intersektionalen Diversitätsmerkmalen. Solche Barrieren können vielfältig sein, etwa fehlende Vorbilder im sozialen Umfeld, stereotype Rollenbilder, mangelnde Ermutigung durch Lehrkräfte, unübersichtliche Informationslage oder eine nicht diversitätssensible Ansprache in Studienangeboten.
Empfohlen wird außerdem, vorhandene Netzwerke aktiv zu nutzen oder neu aufzubauen – etwa durch regionale Cluster oder die Einbindung in Kooperationsinitiativen wie MINTvernetzt. Schließlich wurde der Einsatz digitaler Werkzeuge zur Zielgruppenanalyse, Personalisierung und Monitoring hervorgehoben – unter anderem mithilfe von KI-Anwendungen für die Erstellung von Inhalten, Community Management oder datenbasierte Auswertung.
Ein ergänzender Aspekt, der nicht übersehen werden darf, ist der Umgang mit Studienzweifeln. Denn auch wenn junge Menschen für ein MINT-Studium gewonnen werden konnten, heißt das nicht automatisch, dass sie diesen Weg ohne Irritationen oder Abbruchsüberlegungen fortsetzen. Lineare Bildungswege sind nicht mehr die Regel – entsprechend sollte die Studierendengewinnung auch alternative und individuelle Studienverläufe berücksichtigen und sichtbar machen. Programme zur Studierendenbegleitung, klare Positionierungen und passgenaue Botschaften sollten daher Hand in Hand gehen. Entscheidend sei, dass die anfänglich geweckten Erwartungen auch im weiteren Studienverlauf eingelöst werden – nur so entstehe langfristige Bindung und Zufriedenheit bei den Studierenden. Abschließend plädierte Guido Lohnherr dafür, den Fokus stärker auf Wirkung statt auf Reichweite zu legen.