Fokusrunde 3: Future Skills erfolgreich in MINT-Curricula und -Lehre integrieren

In der Fokusrunde 3 von Professorin Anna Luther haben wir erfahren, was die eduScrum-Methode ist, welche Future Skills den Studierenden vermittelt werden sollten und welche Herausforderungen neue Lehr- und Lernmethoden mit sich bringen.
Die eduScrum-Methode ist eine speziell für den Bildungsbereich angepasste Version des agilen Projektmanagement-Frameworks Scrum, das ursprünglich aus der Softwareentwicklung stammt. Ziel ist es, Schüler*innen und Studierenden mehr Verantwortung für ihren eigenen Lernprozess zu geben und gleichzeitig Teamarbeit, Selbstorganisation und Motivation zu fördern.
Willy Wijnands ist Initiator und Gründer von eduScrum und Mitbegründer der weltweiten Initiative "Agile in Education" in den Niederlanden.
An der Technischen Hochschule Mannheim wurde die Methode im Rahmen einer Mathematikvorlesung für Studierende der Fakultät Maschinenbau eingesetzt (Mathematik1-3). Dabei mussten die Rahmenbedingungen auf die Unterrichtsform an einer Hochschule adaptiert werden. (Eduscrum - TH Mannheim)
Zu den Grundprinzipien von eduScrum zählen:
- Die Lernenden stehen im Mittelpunkt: Studierende arbeiten eigenverantwortlich und im Team.
- Die Agilität im Lernen: Flexibles, iteratives Vorgehen mit regelmäßigen Reflexionen.
- Transparenz und Feedback: Fortschritte sind für alle sichtbar, Feedback ist kontinuierlich.
Die einzelnen Phasen eines Sprints sind das Kick Off/Planning, das Doing, das Review und die Retrospektive.
Zu Beginn des Sprints findet ein Kick-off statt, in dem der Dozierende nicht nur das neue Thema einführt, sondern auch einen Überblick über den zeitlichen Rahmen und den Ablauf des Sprints gibt. Die Lernenden erhalten dabei das sogenannte Booklet, welches das Lernmaterial für die bevorstehende Arbeitsphase beinhaltet. Direkt im Anschluss starten die Teams sowie jede*r Einzelne mit dem Planning. Mithilfe eines vorbereiteten Flips wird dabei transparent dargestellt, welche mathematischen Inhalte zu bearbeiten sind und wie viel Zeit für die einzelnen Themen vorgesehen ist.
Das Doing beschreibt die eigentliche Arbeitszeit, in der die Lernenden in ihren Teams gemeinsam an den Inhalten des Booklets arbeiten. Dazu gehören sowohl die Bearbeitung der Aufgaben als auch der im Backlog aufgeführten Themen. Während dieser Phase ist die Lehrperson durchgehend anwesend und steht den Teams bei Fragen unterstützend zur Seite. Die Entscheidung, welche Materialien zur Erarbeitung der mathematischen Inhalte genutzt werden, liegt bei den Teams selbst. Zu Beginn erhalten die Lernenden zwar Empfehlungen für weiterführende Materialien, doch letztlich tragen sie die Verantwortung für die Auswahl und Nutzung der Ressourcen eigenständig.
Am Ende jedes Sprints findet ein sogenanntes Review statt. Diese Phase dient dazu, die eigenen Lernergebnisse zu präsentieren und die bearbeiteten Inhalte gemeinsam zu reflektieren. Das Review gibt den Lernenden einen transparenten Überblick über ihren aktuellen Lernstand. Durch die regelmäßige Durchführung dieser Reviews werden sie dazu ermutigt, ihr Wissen kontinuierlich aufzubauen – und nicht erst kurz vor der Klausur mit dem Lernen zu beginnen.
Nach dem Review erhält das Team die Möglichkeit, sich selbst zu reflektieren und den eigenen Arbeitsprozess kritisch zu hinterfragen (Retrospektive). Ziel dieser Phase ist es, die Zusammenarbeit im Team kontinuierlich zu verbessern. Die Lehrperson unterstützt diesen Prozess, indem sie gezielte Impulse und Reflexionsanlässe in die Gruppe einbringt. So wird das Team dazu angeregt, Stärken zu erkennen, Herausforderungen offen anzusprechen und gemeinsam Lösungen für eine effektivere Zusammenarbeit zu entwickeln. Ebenfalls gibt es hier die Möglichkeit Rückmeldung zum Dozierenden zu geben.
eduScrum bietet viele Vorteile: Die Methode fördert die Selbstständigkeit und das Verantwortungsbewusstsein der Lernenden. Sie stärkt die Teamfähigkeit und die Kommunikationskompetenz und steigert durch die aktive Mitgestaltung die Motivation. Gleichzeitig sorgt die klare Struktur für Transparenz im Lernprozess.
Durch die Anwendung des Pull-Prinzips anstelle des Push-Prinzips wird den Studierenden die Möglichkeit gegeben, sich selbständig Aufgaben zu holen, sobald sie Kapazitäten haben. Dies ermöglicht eine bessere Anpassung an das individuelle Lerntempo. Des Weiteren ermöglicht das bedarfsorientierte Zurückgreifen auf Materialien und Themen eine gezieltere Unterstützung der Studierenden, wenn diese mit einem Thema nicht weiterkommen. Das Review dient dabei als Spiegelinstrument, um die Frage zu beantworten „Habe ich zu dem Thema genug gelernt?“.
Future Skill bedeutet sich stetig verändern zu müssen und stetig zu lernen. Darauf muss man bereit sein sich einzustellen. Mit der eduscrum-Methode lernt man dies bereits im Studium in der Anwendung und nicht als separates Vorlesungsthema.
Das primäre Ziel der eduscrum-Methode ist das nachhaltige Lernen. Die Mischung der verschiedenen Lerngeschwindigkeiten sowie der Möglichkeit des Lernens in der Gruppe aber auch alleine macht die Methode wertvoll und ermöglicht ein rechtzeitiges Eingreifen, sowohl zum Auffangen von Schwierigkeiten als auch zum Fördern besonderer Begabungen. Das intensive Nutzen der Fachbegriffe in der Gruppe stellt ebenfalls einen großen Mehrwert dar. Zu erwähnen ist noch die benötigte Lernumgebung. Die Räume sollten über eine lose Bestuhlung verfügen.
Im Workshopteil der Fokusrunde wurde in Gruppenarbeit über vier Fragen diskutiert. Die Antworten zeichneten sich durch eine differenzierte und inhaltlich interessante Auseinandersetzung mit den Fragestellungen aus.
Bei der eduScrum-Methode muss die Prüfungsform neu überdacht werden. Folgende Ideen traten hervor:
- Podcast: Die Idee, einen Podcast als Prüfungsform zu nutzen, eröffnet die Möglichkeit, fachliche Kompetenzen auf kreative Weise zu demonstrieren. Da für die Erstellung eines Podcasts eine tiefgehende inhaltliche Auseinandersetzung erforderlich ist – insbesondere bei der Durchführung eines Interviews – wird ein hohes Maß an Vorbereitung und Auseinandersetzung mit dem Thema gefördert.
- Laborversuch: Laborversuche ermöglichen eine praxisnahe Überprüfung theoretischer Kenntnisse. Die Studierenden müssen dabei nicht nur experimentelle Methoden sicher anwenden, sondern auch die zugrunde liegenden Konzepte verstehen und kritisch reflektieren.
- Anwendungsorientierter Entwurf: Ein anwendungsorientierter Entwurf als Prüfungsform fordert die Studierenden dazu auf, theoretisches Wissen in konkrete Lösungen zu überführen. Dies fördert sowohl Problemlösekompetenz als auch Kreativität und Praxisbezug.
- Problembasiertes Lernen (PBL): Problembasiertes Lernen als Prüfungsform verlangt eine eigenständige Auseinandersetzung mit komplexen Fragestellungen. Die Studierenden entwickeln dabei nicht nur fachliche, sondern auch methodische und soziale Kompetenzen im Rahmen kooperativer Lernprozesse.
- Mündliche Prüfungen: Mündliche Prüfungen bieten die Möglichkeit, individuelle Denkprozesse, Argumentationsfähigkeit und kommunikative Kompetenz sichtbar zu machen. Sie erfordern eine präzise Ausdrucksweise sowie die Fähigkeit, flexibel auf Rückfragen zu reagieren.
Im Austausch zu Erfahrungen mit Flipped Classroom oder einem ähnlichen Format ging es darum herauszufinden, wo die Hürden und Herausforderungen liegen.
- Umstellungsphase: Die Phase der Umstellung auf neue Lehr- und Lernformate stellt für alle Beteiligten eine besondere Herausforderung dar, da sie mit veränderten Rollenbildern, neuen Anforderungen und einem erhöhten Koordinationsaufwand einhergeht.
- Qualität und Korrektheit der studentischen Ausarbeitungen: Die Sicherstellung der Qualität und Korrektheit studentischer Ausarbeitungen stellt eine zentrale Herausforderung dar, da die veränderte Rollenverteilung und die stärkere Eigenverantwortung der Lernenden neue Anforderungen an Struktur, Selbstorganisation und Qualitätsbewusstsein mit sich bringen
- Beharrungsvermögen / altes Rollenverständnis: Das Festhalten an traditionellen Rollenverständnissen kann den Wandel hin zu einer aktiveren, selbstgesteuerten Lernkultur erschweren und erfordert gezielte Maßnahmen zur Sensibilisierung und Unterstützung.
- Bereitschaft der Lehrenden zu neuen Methoden: Die Bereitschaft der Lehrenden, neue Methoden wie eduScrum zu erproben, stellt eine besondere Herausforderung dar, da sie mit einem Rollenwandel, dem Loslassen gewohnter Strukturen und der Auseinandersetzung mit neuen Lehr- und Lernansätzen verbunden ist. Es erfordert Offenheit für veränderte Rollen und didaktische Konzepte.
- Hemmschwellen bei Gruppenarbeit und Präsentation: Das Lernen in Gruppen sowie das Präsentieren von Ergebnissen stellt für viele Studierende eine nicht unerhebliche Hürde dar, da mit diesen Formaten häufig Hemmschwellen verbunden sind. Um diese abzubauen, bedarf es gezielter didaktischer Maßnahmen und einer unterstützenden Lernumgebung, die Sicherheit und Vertrauen fördert. Gleichzeitig kann die Lehrmethode auch eine besondere Attraktivität bieten.
- Hemmschwelle für Entscheidung zu studieren (insb. MINT): Die Entscheidung für ein Studium – insbesondere im MINT-Bereich – wird häufig durch bestehende Hemmschwellen beeinflusst. Selbstwirksamkeit und ein niedrigschwelliger Zugang zu Fachinhalten können hier unterstützend wirken. Die Kenntnis alternativer Lehr- und Lernmethoden neben klassischen Formaten könnte dazu beitragen, die Hemmschwelle für die Entscheidung zu einem Studium – insbesondere im MINT-Bereich – zu senken, da sie ein lernförderliches Umfeld in Aussicht stellen, das Selbstwirksamkeit, Zusammenarbeit und individuelle Entwicklung unterstützt.
- Teamarbeit und Mehraufwand: Teamarbeit sowie neue Lehr- und Lernformate erfordern von den Studierenden ein höheres Maß an Zeitaufwand und Eigenverantwortung, bieten jedoch zugleich wertvolle Erfahrungen für die spätere berufliche Praxis.
- Geeignete Räume für Gruppenarbeit: Für eine erfolgreiche Umsetzung kooperativer Lernformen ist die Bereitstellung geeigneter räumlicher Infrastruktur – wie Gruppenräume oder Lerninseln – von zentraler Bedeutung. Dies ist oft aktuell noch nicht gegeben und stellt daher für die Hochschulen eine besonders hohe Hürde dar.
Beim Sammeln weiterer Beispiele für fördernde Maßnahmen im Bildungsbereich konnten ebenfalls eigenen Erfahrungen eingebracht werden.
- Selbstwirksamkeitsraum schaffen: Lernumgebungen, in denen Studierende eigene Entscheidungen treffen und Verantwortung übernehmen können, fördern das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten und wirken sich langfristig positiv auf Motivation und Lernerfolg aus (nachhaltiger Aspekt).
- Produkte schaffen lassen: Die Möglichkeit, eigene Ergebnisse – etwa in Form von Projekten, Konzepten oder Präsentationen – zu erarbeiten, stärkt die inhaltliche Auseinandersetzung, Kreativität und Eigenverantwortung.
- Feedback / Peer-to-Peer: Regelmäßiges, konstruktives Feedback – insbesondere im Austausch mit Peers – unterstützt die Reflexion des eigenen Lernprozesses und fördert eine offene, kooperative Lernkultur.
- Kontextualisieren von Lerninhalten: Die Kontextualisierung von Lerninhalten erhöht deren Relevanz und Verständlichkeit. Durch die Verknüpfung mit realen Anwendungsbezügen wird das Lernen als sinnvoll erlebt und das Behalten von Wissen nachhaltig unterstützt.
- Just-in-Time-Lernen: Bedarfsorientierte Unterstützung zum richtigen Zeitpunkt hilft, Wissenslücken gezielt zu schließen und fördert selbstgesteuertes, situationsbezogenes Lernen.
Die Anwendung von eduScrum impliziert auch eine Veränderung der Rolle der Dozierenden und wirft die Frage auf, was diese Veränderung für die Dozierenden selbst bedeutet.
- Coach vs. Frontal – Passivität und eigene Grenzen: Der Rollenwechsel vom frontal unterrichtenden Dozierenden hin zum Coach erfordert ein grundlegendes Umdenken. Während klassische Formate häufig mit einer gewissen Passivität verbunden sind, verlangt die Rolle als Lernbegleiter eine aktive, unterstützende Präsenz im Lernprozess sowie die Bereitschaft, Verantwortung mit den Studierenden zu teilen. Die veränderte Rolle als Lernbegleiter kann Lehrende vor neue Herausforderungen stellen, insbesondere wenn gewohnte Strukturen und Routinen hinterfragt werden. In solchen Situationen kann es vorkommen, dass man an persönliche oder professionelle Grenzen gelangt.
- Wie kommt mehr Wissen an? Die Frage, wie Wissen effektiv und nachhaltig vermittelt werden kann, gewinnt an Bedeutung. Interaktive, kontextbezogene und adaptive Formate rücken dabei stärker in den Fokus.
- Umgang mit großen Kohorten: Die Betreuung großer Studierendengruppen stellt eine zusätzliche Herausforderung dar.
- Neue Haltung entwickeln – Lernprozesse unterstützen: Die veränderte Rolle erfordert eine neue Haltung gegenüber dem Lernprozess – weg von der reinen Inhaltsvermittlung hin zur aktiven Unterstützung individueller Lernwege.
- Was ist zielführend? – Eigenverantwortung bei den Studierenden: Zielführend ist eine Lernkultur, die Eigenverantwortung bei den Studierenden stärkt. Dies setzt voraus, dass sie Freiräume zur Gestaltung ihres Lernprozesses erhalten, gleichzeitig aber auch klare Strukturen und verlässliches Feedback zur Orientierung.
Den Mut zu haben, alternative Lehrmethoden umzusetzen, wurde mit auf den Weg gegeben.